Der kleine Mönch und das Stundengebet
Sommerabend im Klosterpark. Nach Komplet geht der kleine Mönch noch einmal an die frische Abendluft. Er setzt sich auf eine Bank und lässt seine Gedanken schweifen. Eben saß er noch in der Abteikirche und hat die Komplet gebetet. ORA ist lateinisch und heißt Beten. Der kleine Mönch mag das benediktinische Stundengebet. Im Gebet findet er Kraft und Ruhe. Plötzlich kreisen seine Gedanken rund um das Gebet. Ruhig und vor allem angenehm still ist es im Klosterpark. „Nun ruhen alle Wälder, Vieh, Mensch, Städt und Felder!“
Man hört die Vögel ihre Abendlieder singen oder beten sie gar? Ab und zu krächzt eine Krähe vom Kirchturm über den Klosterberg. In der Kirche ist noch Licht, denn die Orgelbauer sind auch am späten Abend fleißig. Beten, beten, beten… im Kopf des kleinen Mönches stellen sich auf einmal viele Fragen ein. Sogar ein ganzes Stelldichein von lauter Gebetsfragen. „Wo habe ich eigentlich das Beten gelernt?“ und „Wo habe ich gebetet?“ oder „Kann man denn beten lernen?“ Ein Rückblick in seine eigenen Kindertage mit der Frage: Kann man beten lernen? Spontan kommt dem kleinen Mönch ein „Ja“ in den Kopf! Gelernt hat er es von seinen Eltern in den Kindertagen. Ob vor dem gemeinsamen Mittagessen „Komm, Herr Jesus, sei Du unser Gast!“ oder das Abendgebet „Müde bin ich geh zur Ruh!“ beim Zu-Bett-Gehen. Beten ist für ihn etwas sehr Vertrautes und Wichtiges.
Er betet schon sein ganzes Leben, d.h. soweit er auf sein Leben zurückblicken kann. Dem kleinen Mönch ist das Beten sehr vertraut. Es ist etwas ganz Normales für ihn. Die große heilige Teresa von Avila nennt das Gebet zu Gott „wie ein Gespräch mit einem Freund, mit dem wir oft und gern allein zusammenkommen, um mit ihm zu reden, weil er uns liebt.“ –„Hallo Mr. Gott, hier spricht der kleine Mönch – bis du da, Mr. Gott? – Sicher!“ Wie schön ausgedrückt: das Beten mit dem Gespräch zwischen Freunden zu vergleichen. Wunderbar. Das gefällt dem kleinen Mönch sehr und lächelnd schaut er in die letzten Schäfchen-Wolken am Abendhimmel. „Herr, deine Güte reicht, soweit der Himmel ist.“ Freundschaftsgespräche sind vertrauensvoll. Ja, und so empfindet der kleine Mönch es auch selber. Beten hat für ihn etwas mit Vertrauen zu tun.
Er hört das Summen einer der vielen Klosterbienen, die nun nach getaner Arbeit zurück in ihren Bienenstock bei der Mosterei fliegt. „Bevor des Tages Licht vergeht, dich Herr und Schöpfer rufen wir!“ Abend will es werden und morgen beginnt ein neuer Tag, denkt sich der kleine Mönch und denkt über die verschiedenen Stundengebete nach.
In der Abtei Königsmünster versammeln sich die Mönche viermal am Tage zu den Stundengebeten. „Herr, öffne meine Lippe, dann wird mein Mund Dein Lob verkünden.“ Es sind die Morgenhore (Vigil und Laudes), die Mittagshore, das Konventamt mit der Vesper und die Komplet. Im Kloster bestimmt der Klang der Glocke den Rhythmus des kleinen Mönches. Sein Alltag ist fest strukturiert und Struktur tut ihm gut. Die Glocke ruft zum Gebet und zur Arbeit. Ora et labora, so nennen die Mönche diesen über tausend Jahre alten Gleichklang. Wenn der Glockenruf durch das Kloster erschallt, dann müssen sich sofort alle Brüder auf den Weg in die Kirche machen. Der heilige Benedikt schreibt nämlich in seiner Mönchsregel, dass dem Gottesdienst nichts vorzuziehen sei. Der Tag beginnt mit der Morgenhore. „Wach auf, meine Seele! Harfe und Leier wacht auf! Ich will das Morgenrot wecken!“ Sie wird gebetet, wenn die Sonne über dem Horizont auftaucht. Die Mönche bitten Gott um seinen Segen für den neuen Tag. „Die Morgenröte zieht herauf und überstrahlt das Sternenheer.“ Sie loben Gott, dass er sie die Nacht über behütet hat und preisen im Hymnus (besonderes Lied) im Symbol des Lichts der aufgehenden Sonne den auferstandenen Christus. „Du, Christus, bist der helle Tag, das Licht, dem unser Licht entspringt!“
Dann schließen sich Frühstück, Lesung, Betrachtung und Arbeit an. Kurz nach zwölf Uhr am Mittag läutet die Glocke abermals und ruft die Klosterbrüder zur Mittagshore. In der Mitte des Tages ziehen die Mönche eine Notbremse… Anhalten… Einhalten…. Stillwerden! Die Sonne steht nun hoch. Im Sommer ist es vielleicht gerade zu dieser Gebetszeit sehr heiß. „Meine Seele dürstet nach Gott, nach Gott dem Lebendigen.“ Die Hälfte der Arbeitszeit liegt hinter den Brüdern und wer weiß, vielleicht gab es unterschiedliche Meinungen oder gar Streit, was ferne sei. So ist es gut, am Mittag in der Kirche innezuhalten und bei Gott neue Kraft für die zweite Tageshälfte zu sammeln. Schön, in der Hitze des Mittags auszuruhen.
Im Mittagsgebet bitten die Mönche auch vor allem um die Gesunderhaltung des Leibes. „Harre auf Gott! Ich darf ihn wieder preisen, meinen Heiland und meinen Gott!“ Im Anschluss wird das Mittagessen gereicht und bevor die Arbeitszeit beginnt, wird Mittagsruhe gehalten. Wenn die Sonne sich dann anschickt im Westen unterzugehen, dann rufen die Glocken zunächst zur Heiligen Messe, dem Konventamt, in die Abteikirche. „Ich fürchte kein Unheil, du bist ja bei mir.“ Im Anschluss beten die Brüder sofort die Vesper und verabschieden den Tag. Zum Sonnenuntergang wird das Licht entzündet und das Abendessen eingenommen. „Der Herr ist mein Licht und mein Heil: Wen sollte ich fürchten?“ Mit dem Einbruch der Dunkelheit ruft die Glocke die Mönche noch einmal zum Gebet in die Abteikirche. In der Komplet, die den Tag komplett macht, bekennen die Mönche, was sie am Tag falsch gemacht haben. Sie danken Gott für den vergangenen Tag und bitten ihn um einen guten Schlaf ohne Alpträume. „Sei unser Heil, o Herr, wenn wir wachen, und unser Schutz, wenn wir schlafen; damit wir wachen mit Christus und ruhen in seinem Frieden.“ Der Abt spendet den Segen und bevor die Mönche schweigend in ihre Zellen gehen und sich zur Ruhe legen, singen sie noch das „Salve Regina“, um die Gottesmutter Maria zu ehren. „Nun entlässt du, o Herr, deinen Knecht nach deinem Wort in Frieden.“ Am Ende der Nacht ruft die Glocke die Brüder wieder zur Morgenhore. Ein neuer Tag in der Abtei Königsmünster wird im Gleichklang von Gebet und Arbeit beginnen. Und so geht es immer weiter und weiter und weiter und das ist gut so, findet der kleine Mönch! Und sein Wunsch am Ende eines jeden Tages: „Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt!“
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