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Besonders mein Opa hat immer mit mir gespielt. Immer. Zu spielen hat mich wahrscheinlich zu der gemacht, die ich heute bin. Was habe ich gespielt, meine gesamte Kindheit lang. Ich habe eine ganz besondere Erinnerung an meine Spielzimmer, an mein Kinderzimmer, wie ich dort gelebt habe. Es gibt Fotos von mir in diesem Zimmer, das so sehr ICH bin wie kaum etwas anderes auf dieser Welt. Ich verkleidet unter meinem Hochbett, ich als Harry Potter Verschnitt, ich inmitten von Milliarden kleinen LEGO Steinen, ich inmitten einer selbst inszenierten Playmobil Stadt, die ich stolz und noch heute frage ich mich warum, „Schellenberg“ nannte. Warum bitte dieser extrem kreative Name? Schellenberg? Im Ernst?! Warum nicht Utopia, New Helli, Helli City, Futura, was auch immer… Wie man Städte eben nennt, wenn man glaubt größenwahnsinnig Fantasie zu leben. Aber nein, meine Stadt hieß eben Schellenberg, Sie beinhaltete einen Zoo, eine Schule, eine afrikanische Safari Station, einen Flughafen, der nur aus einem Flugzeug bestand, weil ich den richtigen Flughafen nie besaß, einen Kindergarten, eine mittelalterliche Burg, meinen heiß und über alles geliebten Pferdehof, einen Zirkus ohne Zirkuszelt, die Arche Noah, ein Piratenschiff, eine Buslinie, einen Cowboy Bezirk, vereinzelte Geschäfte und Marktstätte und ein einziges Haus, das aus einem alten Puppenhaus bestand. Wo die anderen Menschen gelebt haben, kann ich schlichtweg nicht sagen, sie sind einfach 24/7 in der Stadt herumgelaufen, ohne jemals zu Hause anzukommen. Rastlos sozusagen. Sie hustleten in Schellenberg umher. Ich habe diese Stadt geliebt. Ich habe die Menschen geliebt, die sie füllten, ich hatte meine Lieblingsfiguren, die in Schellenberg ein Leben führen konnten, das ich mir vorstellte. Ich konnte jede Rolle übernehmen. Die vom Busfahrer, die von der Lehrerin, die der Tierpflegerin, die des Tierpflegers, die des Zirkusdirektors, die des Clowns, die der Akrobatin, die des Bankräubers, die des Kindergärtners, die der Eltern, ich konnte Ritter sein und Burgfräuleins retten oder in die Freiheit reiten. Ich war Cowboy im Western Bezirk Schellenbergs, erschuf Realitäten, die eine normale Stadt mit diesem langweiligen Namen wahrscheinlich nie erleben würde. Schellenberg klingt jetzt nicht nach place to be und Nabel der Welt. WELCOME TO FABULOUS SCHELLENBERG – nee.. In meinem Kopf aber alles möglich. Ich als Siegerin meiner Gedanken. Eine Stadt des Friedens, ohne Konflikte, wenn, dann hatten sie maximal Schulhofcharakter und wenn es dann mal böse Menschen gab, wurden sie von meinen Polizei Figuren keck geschnappt, bekehrten sich und wurden wieder zu guten Menschen, engagierten sich im Zoo und verkauften Eis an die Kinder. So einfach ging das. Da kam wohl mein Bedürfnis nach Harmonie und einer funktionierenden sozialen, engagierten, friedvollen, offenen, diversen Gesellschaft heraus.

Und heute? Heute spiele ich nicht mehr. Ich spiele nicht mehr mit diesen Figuren, Schellenberg ist eine Art Atlantis meiner Kindheit, liegt am Grund meiner Fantasie. Existiert es noch? Ich weiß es nicht. Wie war das früher? Ich ging nach hause und spielte. Spielte alleine oder mit Opa Lu oder Hannah oder Nele oder Paul oder Lars oder Marie oder Papa oder Marcella oder Frederic oder Theresa oder Justus oder Carina. Dann hörte ich auf.

Zu spielen gehörte nicht mehr zu meinem Leben. Das sollte plötzlich vorbei sein einfach so. Spielzeug verschwand in den großen Kisten, wurde nicht mehr angerührt. Kindheit feierlich begraben.

Ich habe eine Lebensrealität verlassen, die ich so nie wieder erleben werde. Mittlerweile übernehme ich Verantwortung, ich habe einen Plan, lebe eine andere Art des Lebens. Aber schließt das meine Fantasie aus? Nein, ganz im Gegenteil. Vielleicht hat dieses Spielen meine Fantasie erst entwickelt. Vielleicht ist sie der Grund, warum ich heute so gerne mit Sprache spiele. Vielleicht hat sie einen Grundriss erbaut, den ich heute individuell weiterbaue. Und vielleicht ist das eine wichtige Erkenntnis. Warum sollte ich aufhören Kind zu sein? Warum sollte ich aufhören mir in meinem Gedankenpalast Städte zu bauen, die Menschen vereinen? Vielleicht bin ich heute in der Lage genau das Realität werden zu lassen. Durch mein Handeln, durch meine Visionen. Wenn ich es als Kinder erträumen konnte, warum sollte ich es einfach so fallen lassen? Warum nicht in der heutigen Welt genau die Werte verinnerlichen, die es mir ermöglichten zu träumen und wahre Utopien zu erschaffen? Was ist dieser Wert, der mich so handeln ließ? Es war der Wert der Liebe. Liebe an die Menschen. Liebe an die Welt.

„Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber am stärksten unter ihnen ist die Liebe.“ (1 Korinther 13, 11ff.)

(Helena Minner, Jahrespraktikantin)