Der kleine Mönch macht Urlaub

Kleiner Mönch

Sommerzeit – Reisezeit. Die Sonne scheint, die Natur steht voll im saftigen Grün, die Nächte sind lau und kurz. Da hält es auch den kleinen Mönch nicht mehr hinter den Klostermauern! Neulich war er auf einer Urlaubsreise. Pilgern: Was bedeutet das eigentlich? Das Pilgern geht bis auf das sechste Jahrhundert zurück, hatte damals aber eine andere Bedeutung als heute. Während früher vor allem Mönche Pilgerreisen unternahmen, sind sie heute oft ganz von der Religion losgelöst und dienen eher dem Zweck, zu sich selbst zu finden und mit sich ins Reine zu kommen. Man nimmt an, dass es irische Mönche waren, die mit dem Pilgern begannen. Die Bedeutung dahinter war, es dem missionierenden Jesus Christus und dem wandernden Abraham gleichzutun. Damals hatte das Pilgern meist kein spezielles Ziel. Im Mittelalter änderte sich die Bedeutung des Pilgerns ein wenig: Man suchte jetzt meistens bestimmte Orte auf wie Rom, Jerusalem oder das Grab des heiligen Jakobus in Santiago de Compostela.

Jedes Jahr fährt der kleine Mönch zu den Benediktinerinnen von St. Hildegard in Eibingen und macht dort Ferien. Hier kann er gut entspannen und Kraft sammeln, die Seele volltanken und die Zeit genießen. Um 1900 wurde Abtei St Hildegard oberhalb von Eibingen in Weinbergen gegründet und am Hildegardtag, dem 17.09.1904 nahmen die Nonnen das klösterliche leben in der neuen Abtei wieder auf. Der kleine Mönch ist gerne hier zu besuch. Hier kann er Kraft schöpfen und sich gut erholen. Die Schwestern pflegen eine besonders herzliche Gastfreundschaft und man fühlt sich sehr wohl. Das Klostercafé, mit seinen freundlichen Bedienungen, bietet viel Köstlichkeiten an und im Klosterorden findet man immer zwischen Buch und Wein was Schönes.  Gerne setzt sich der kleine Mönch am Abend auf eine Gartenbank und lässt seinen Blick über die Weinberge schweifen.

Kräftig und tiefverwurzelt stehen sie da: Die Weinstöcke rund um die Abtei St. Hildegard in Eibingen am Rhein. Die Blätter der Weinstöcke leuchten in einem lebendigen Grün. Der kleine Mönch denkt: „Zuerst sind sie zaghaft gewachsen und dann immer größer geworden. Es hat die Nonnen wohl einiges an Arbeit gekostet. Der Boden wurde vorbereitet, der Stock wurde geschnitten. Die Triebe, die stehenblieben, wurden gebogen und befestigt. In all seiner Schönheit ziert der Weinstock den Weinberg. Tief verwurzelt steht er da. Schaue ich eine Wurzel an, denke ich: Stark wie ein Weinstock. Ja, die Wurzel will mir sagen, dass ich stark und kräftig bin. Wie sie den Weinstock in der Erde festhält, bin ich zu tiefst verwurzelt. Verwurzelt in wem? In Familie, Klostergemeinschaft, Freundeskreis! Und ich bin in der Lebenswurzel schlechthin verwurzelt: In Gott. In Gott gründe ich. Er ist meine Wurzel. Er trägt mich und lässt mich in die Tiefe gehen, um zu wachse.“ Glücklich lächelt der kleine Mönch in sein Herz hinein. Urlaubstage sind schöne Tage. Ein besonderes Erlebnis ist für den kleinen Mönch der Ausflug in das ehemalige Kloster Eberbach. Hier wurden Szenen zum Film „Der Name der Rose“ nach Umbertos Ecos Klassiker der Weltliteratur gedreht. Spaß mach eine Rhine-River-Tour bis Loreley. Das Rheintal mit seinen Burgen findet der kleine Mönch wunderschön. Manchmal wechselt der kleine Mönch die Rheinseite: Besichtigungstour durch Mainz, Besuch des Kloster Jakobsberg und des Rochusberges und ein Besuch im „Museum am Strom“ in Bingen. Die Ausstellung über Hildegard von Bingen ist sehr lobenswert und verdeutlicht, was für eine mutige und moderne Frau hier einst hier am Rhein lebte. Wanderungen durch die Weinberge und zum Niederwalddenkmal oder zu Kirche „Noth Gottes“ dürfen auf dem Programm nicht fehlen.

Morgen pilgert der kleine Mönch betend durch die Weinberge hinab nach Eibingen in die Pfarrkirche, um am Schrein der heiligen Hildegard von Bingen zu beten. Ihm gibt das Kraft, Glaube und Hoffnung! Die Hl. Hildegard ist für ihn eine wichtige Fürsprecherin auf seinem Pilger-Lebens-Weg als Mönch durch die Klosterwelten geworden. Diesen Sommer erlebt er nun etwas ganz besonders. Eine Dame, die auch zu Gast in der Abtei war, bot den kleinen Mönch an, mit ihr auf den Disibodenberg zu fahren. Gern nahm er das Angebot an. Auf dem Disibodenberg errichteten Benediktiner im 12. Jahrhundert eine gewaltige Klosteranlage. Die heilige Hildegard verbringt hier ihre ersten 39 Klosterjahre als Inklusin. Ihre Magistra war Jutta von Sponheim. Auf dem Disibodenberg schrieb Hildegard mit Hilfe des Mönchs Volmar ihre erste Vision SCIVIAS – WISSE DIE WEGE nieder. Welch ein Gefühl! Schritt für Schritt steigt der kleine Mönch den Disibodenberg hinauf. Bis zur alten Klosterruine. Als er oben angekommen war verschlägt es ihm den Atem. Ein Ort voller Kraft. Hier lebte also einst die große Benediktinerin und Kirchenlehrerin. Ehrfürchtig durchschreitet der kleine Mönch die Ruinenlandschaft. Im alten Kapitelsaal der Mönche bleibt er sitzen und hört. Er hört in sein Herz hinein: Schweige und höre! Neige deines Herzens Ohr! Suche den Frieden – „Pilgern heißt schweigen“, sagt der heilige Benedikt, doch wenn ich pilgere bin ich auf einen Weg, dachte der kleine Mönch… auf dem Weg… Scivias… Wisse die Wege! Da sitzt er im Kapitelsaal. Das Licht der Sonne fällt im Spiegelglanz durch das Grün der alten Bäume. Ob Hildegard hierher gegangen ist? Dem kleinen Mönch fallen die Augen zu und auf einmal ist er in einer anderen Welt. Träumt er oder ist er wach? Deutlich sieht der die Nonne Hildegard im schwarzen Habit vor sich. Hildegard?! Bist du es!? Ein Tag mit Hildegard. Träumt er oder wacht er…

…Der Tag gibt dem Tag die Botschaft weiter. Eine Dohle in der Wüste, eine Eule in den Ruinen. Hildegard hatte tüchtige Schwestern und sie mischte sich nicht in die Verantwortlichkeit anderer, registrierte nur die Richtigkeit, sagte wohl, nimm mehr Sahne ab, damit die Mittagsmilch nicht zu fett ist, nimm mehr Honig, vergiss im Salat die Petersilie nicht, das Brot ist gesünder, wenn der Ofen nicht vorgeheizt wird, backe Dinkel hinein, leg das Leinen in die Mittagssonne, mehr sagte sie nicht und die Schwestern waren dankbar für jeden Rat. In der Salbenküche roch sie über den Tröpfen, schmeckte ab. Im Garten band sie eine Bohnenranke hoch, entzückt über den zarten Stengel. Die Blätter entpuppen sich, werden ein Wunder. Viriditas – die Grünkraft…Der Mensch wird von der Kraft der Geschöpfe so stark umfangen, dass er von ihnen gar nicht getrennt werden kann; denn die Weltelemente sind für den Menschen geschaffen und erweisen ihm ihren Dienst! ‘… Sollte sie noch die Enten füttern? Aber Volmar wartete. Sie schaute auf den Boden: er ist erschöpft. Wir müssen Klee anbauen, die Mauer an der Frauenklause muss repariert werden. Ora et labora! In der Schreibstube traf sie Volmar. Der Abt hatte ihm Dokumente mitgegeben. Eine Schenkungsurkunde gegenzeichnen, Mehl und Leinen resistieren, Briefe schreiben. Wann lässt du mich mein Kloster bauen? Ein Kloster am Rande des großen Flusses? Deine Wegen, deine Pfade.  An der kleinen Pforte an der Mauer warteten schon die Kranken. Schmerzen, Angst und Tränen. Hildegard war ihre Hoffnung und Hildegard machte ihnen Mut, denn Mutmachen ist am wichtigsten. Selber dachte sie: ich bin doch nur ein zerbrechlicher Mensch. Eine Dohle in der Wüste! Wunden pflegen und verbinden. Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst – für Hildegard mehr als nur Worte. Die Glocke ruft. Aus der Enge meines Herzens führ mich heraus. Sie eilt in die Kirche, noch rechtzeitig zur Sext. Nach dem Mittagessen ein Gang durch den Garten. Stille und Ruhe. Damit mein Herz sich weiten kann. Die Rosen blühen zarter und doch voller Einsamkeit.  Die Einsamkeit der Rosen lässt sie weiter hoffen. Hoffen auf ein Wunder für all die kranken Menschenkinder. Hildegard hofft auf ein Wunder für diese Welt…Halt ein, Mensch, du baust eine Ruine! Zorntage liegen auf dir, Mensch! Du bist ein Rebell und zerstörst alles grünende Leben. Die Luft speit Schmutz aus, sie stinkt wie die Pest, und Winde und Wasser sind voller Moder. Die Elemente treten vor den Schöpfer und klagen dich an. Wer bist du, Mensch?‘… Nach der Non wieder schreiben und studieren und diktieren. Scivias – Wisse die Wege. Die Zeit ist einsam und müde, aber sie jagt und fliegt dahin wie Wolken am Himmel. Es läutet zur Vesper. Als Israel auszog aus Ägypten. Das Singen in der Vesper tut Hildegard nach einem langen Tag gut. Er wandelt den Felsen zum Teich. Kieselgestein zur Wasserquell. Nach der Vesper ging Hildegard ins Refektorium und der Duft des frischen Roggenbrotes zog ihr in ihre Nase. Saftig ist das Brot – der Fisch ist gut gewürzt. Aber der Wein ist zu wässerig – viel zu wässerig findet Hildegard. Und doch sind im  Wein ja kraftvoll alle Elemente… ‚Im Menschen sind Feuer, Wasser, Luft und Erde. Aus ihnen besteht er: Vom Feuer hat er die Wärme, von der Luft den Atem, vom Wasser das Blut und von der Erde den Körper. Dem Feuer verdankt er das Sehen, der Luft das Hören, dem Wasser die Bewegung und der Erde seinen Gang! ‘… Nach dem Abendessen noch ein Besuch bei den Kranken. Bevor des Tages Licht vergeht. In der Komplet getragener Singsang. Sei unser Heil, o Herr, wenn wir wachen, und unser Schutz, wenn wir schlafen; damit wir wachen mit Christus und ruhen in seinem Frieden. Dann der Gang durch das stille Haus. War der Tag nicht zu eng, die Arbeit zu schwer, wird in der Nacht jemand weinen müssen. Hildegard geht in ihre Zelle und legt sich nieder. Die Nacht verkündet der Nacht die Erkenntnis!“…

Da erwacht der kleine Mönch im Spiegelganz des Sonnenlichtes, das durch die Bäume auf den Disibodenberg schimmert – was für ein schöner Pilgertraum! Am frühen Abend fahren die Dame und er zurück nach Eibingen in die Abtei. Mit der Fähre geht es von Bingen über den Rhein nach Rüdesheim. Rechtzeitig zu Vesper sind sie im Kloster.

Quelle:

  • Hildegard von Bingen: „Liber vitae meritorum“ ; „Liber divinorum operum“ ; „Causae et curae“
  • Ingeborg Ulrich „Hildegard von Bingen – Mystikerin, Heilerin. Gefährtin der Egel“ Kösel Verlag 1990 frei zitiert / zusammenegstellt von den Seiten 50-54
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